Stahl weist, je nach Temperatur und Legierungszusammensetzung, unterschiedliche Gefügearten
auf. Die zugrundeliegenden Primärzellen haben, bedingt durch die Anordnung der beteiligten
Atome, unterschiedliche Größen. Die Umwandlung erfolgt durch einen Umklapp- bzw. einen
Verschiebungsmechanismus auf atomarer Ebene.
Die Umwandlungsfähigkeit in der Atomanordnung ist maßgeblich an den vielfältigen
Behandlungsmethoden von Stahl beteiligt. Durch eine entsprechende Wärmebehandlung kann z.B. das
Gefüge verfeinert oder die Härte beeinflusst werden.
Die meisten für die Behandlung von schmiedbaren Stählen interessanten Gefügeumwandlungen gehen von
einem austenitischen Gefüge aus. Die im Folgenden beschriebenen Gefügearten und ihre Entstehung beziehen
sich auf relativ reine Kohlenstoffstähle. Schon die Zugabe von wenigen Prozenten anderer
Legierungselemente kann ein gänzlich anderes Verhalten hervorrufen.
Bei der Austenit-Perlit-Umwandlung entsteht zunächst im Austenitkorn an der Korngrenze oder anderen Keimenstellen
ein Zementitkeim, der in das Austenitkorn hineinwächst. Bei seiner Bildung wird der direkten
Umgebung Kohlenstoff entzogen, so dass diese zu Alpha-Eisen, dem Ferrit, umklappen kann.
Da die Löslichkeit von Kohlenstoff im Alpha-Eisen sehr gering ist, wird der in der umklappenden
Zone noch vorhandene Kohlenstoff in die angrenzenden Austenitbereiche gedrückt. Die dort
entstehende übersättigte Lösung führt zur Bildung einer Zementitlamelle. Auf diese Weise wächst
das lamellare Perlitgefüge in einem Korn.
Der Lamellenabstand wird durch die Diffusionsgeschwindigkeit des Kohlenstoffes bestimmt. Sie nimmt
mit sinkender Temperatur ab, so dass bei 700°C groblamellarer, bei 600°C feinlamellarer und bei 500°C
feinstlamellarer Perlit direkt aus dem Austenit entsteht. Dabei nimmt die Härte mit zunehmender
Feinheit der Lamellen zu.
Unterhalb von etwa 400°C ist die Diffusion des Kohlenstoffs im Austenit praktisch unterbunden, es
bildet sich nun Bainit. Bedingt durch die geringe Diffusionsgeschwindigkeit verzögert sich der
Umwandlungsbeginn und die Umwandlungsdauer steigt (siehe
ZTU-Diagramm). Anders als bei der
Perlit-Umwandlung kommt es nun an den Korngrenzen oder anderen Keimstellen zum Umklappen des Gitters. Es
entstehen stark übersättigte Ferritkristalle, welche mit der Zeit nadelartig wachsen.
Die Diffusionsgeschwindigkeit des Kohlenstoffs im Alpha-Eisen liegt deutlich über der im Gamma-Eisen,
so dass der Kohlenstoff in den Ferritkristallen in Form feiner Zementitkörner ausgeschieden werden kann.
Bainit entsteht also aus einem martensit-ähnlichen, jedoch bei diesen Temperaturen instabilen Gefüge.
Wiederum wird die Größe der Zementitkörner durch die Diffusionsgeschwindigkeit bestimmt, so dass sich bei
niedrigeren Temperaturen feinere Zementitausscheidungen bilden.
Die Karbide, die bei ca. 400°C
ausgeschieden werden, sind größer als die des bei niedrigen Temperaturen gebildeten Perlits, was eine
geringere Härte des bei hohen Temperaturen gebildeten Bainits erklärt. Unterhalb von ca. 180°C,
dem Martensitpunkt, erfolgt keine Bainitbildung mehr. Die Umwandlung findet unverzögert statt, da der
Kohlenstoff auf seinen Gitterplätzen eingefroren wird.
Wird ein kohlenstoffhaltiger Stahl (>0.35%C) schnell abgekühlt, so kann der
Kohlenstoff nicht mehr durch Diffusionsvorgänge als Zementit ausgeschieden werden. Der Austenit
wandelt sich daher in ein tetragonal verzerrtes alpha-Eisen, den tetragonalen Martensit, um.
Obwohl nur ca. jede 10te Martensit-Zelle durch ein Kohlenstoffatom verspannt wird, weist
Martensit gegenüber Ferrit/Perlit ein ungefähr 1% größeres spezifisches Volumen auf. Der
eingelagerte Kohlenstoff behindert nicht nur das Wandern von Kristallversetzungen, sondern bewirkt zugleich
eine innere Verspannung, was dem Martensit seine hohe Härte aber auch eine größere Sprödigkeit
verleiht.
Die Umwandlung zu Martensit beginnt erst unterhalb des Martensitpunktes.
Die Lage des Martensitpunktes ist ausschließlich von den Legierungsbestandteilen und nicht von
der Abkühlgeschwindigkeit abhängig. Die ersten entstehenden Martensitnadeln erzeugen, bedingt
durch ihr größeres Volumen, Druckspannungen im noch verbleibenden Austenit, so dass sich dieser
erst bei niedrigeren Temperaturen oder nach entsprechend langen Zeiten umwandelt. Oftmals
verbleibt auch bei Raumtemperatur noch ein gewisser Anteil an Restaustenit.
Kühlt man beim Härten auf einen Bereich zwischen 180°C und 100°C ab und hält den Stahl eine entsprechend
lange Zeit bei diesen Temperaturen, so bildet sich kubischer Martensit. Bei diesen Temperaturen ist die
Diffusionsgeschwindigkeit noch so hoch, dass sich Atomumlagerungen und feinste Zementitausscheidungen
bilden können. Im Gegensatz zum tetragonalen Martensit ätzt der kubische Martensit, bedingt durch die
Karbidausscheidungen, dunkel an. Kubischer Martensit weist eine nur geringfügig geringere Härte, aber eine
deutlich höhere Zähigkeit als tetragonaler Martensit auf.
Durch die mit der Temperatur abnehmende Diffusionsgeschwindigkeit des Kohlenstoffs ist der verbleibende
Restaustenit unterhalb von 100° sehr beständig. Er kann entweder durch Tiefkühlen oder entsprechendes
Anlassen beseitigt werden.
Die Härte eines Stahls wird sowohl durch seine innere Verspannung (wie z.B. beim Martensit) als auch durch
harte Ausscheidungen (wie z.B. beim Perlit) beeinflusst. Die Ausscheidungshärte steigt mit zunehmender
Feinheit der Ausscheidungen, da diese nicht mehr so leicht aus der Grundmasse ausbrechen können und das Wandern
von Kristallversetzungen durch ihre feinere Verteilung effektiver behindern.
© 2005 G.v.Tardy